Nachrichten-Fasten in Zeiten von Corona

Eine Sache, die in all diesem Corona-Trubel untergeht: Wir befinden uns ja theoretisch in der Fastenzeit. Also die Zeit zwischen Aschermittwoch und Ostern, in der viele Menschen bewusst auf schöne Dinge verzichten, um sich selbst zu disziplinieren, sich zu „entgiften“, neue Gewohnheiten einzuüben und/oder sich auf das Sterben und Auferstehen Jesu Christi auszurichten und zu besinnen, indem man den kleinen Alltagsbefriedigungen (Süßes, Kaffee, Essen, Technik etc.) nicht nachgeht.

Kurioserweise muss gerade die halbe Welt Verzicht üben – auf Veranstaltungen, Kino, Kultur, soziale Treffen, Arbeitsroutinen, Ausgehen und Freizeitgenuss. Doch dieser Verzicht ist erzwungen. Es bedarf keinerlei Selbstdisziplin, nicht mehr ins Kino zu gehen oder keinen Alkohol mehr in einer Bar zu trinken. Hinzu kommt die soziale Unterstützung: Kaum einer wird in Versuchung gebracht, Corona-Sünden zu begehen, weil jetzt fast alle am gleichen Strang ziehen und Ersatzaktivitäten wie Livestreaming von Gottesdiensten oder anderen Veranstaltungen binnen weniger Tage auf große Akzeptanz stoßen. Die kollektive Weltgemeinschaft sitzt im selben Boot und leidet mit – das tröstet ein wenig. In diesem Prozess wird sogar der Verzicht auf Schoki oder Junk-Food etwas leichter, weil man sie nicht mehr bei sozialen Treffen angeboten bekommt.

Bei Nachrichten ist das jedoch anders. Nachrichten kann man nicht einfach abstellen, sie sind omnipräsent und stets nur einen Handgriff entfernt. Als ich mich zu Beginn der Fastenzeit gefragt habe, welche Gewohnheiten und „Lüste“ mich ungewollt kontrollieren und mein Leben zu sehr dominieren und worauf ich nun mal verzichten sollte, fielen mir sehr schnell die Nachrichten ein.

Kurz zuvor war die Thüringen-Krise und die damit einhergehende Führungsfrage der CDU. Stundenlang aktualisierte ich meine Nachrichtenseiten; wollte wissen wer jetzt was sagt, wie es weitergeht. Ich las Kommentare, Analysen, Tweets, historische Einordnungen und neue Eilmeldungen. Es war alles so spannend, so neu, so offen. Wie würde es weitergehen?

Gleichzeitig merkte ich die Nebenwirkungen von der Intensivbeschäftigung mit Nachrichten.

Einerseits litt meine Unterrichtsvorbereitung und meine generelle Arbeitsmoral. Nun mag eingewendet werden, dass ein guter Lehrer und ein verantwortungsbewusster und gebildeter Bürger doch informiert sein muss; der Unterricht sollte doch Aktualitätsbezüge aufweisen. Ja, aber stundenlanger und fast schon zwanghafter Nachrichtenkonsum ist hierfür nicht nötig. Für die Unterrichtsintegration hätte es auch eine bewusste 15minütige Nachrichtenaufnahme und -verarbeitung am Ende des Tages getan. Die freigewordene Zeit könnte für didaktische Überlegungen über den praktischen Einsatz ebendieser Inhalte im Unterricht verwendet werden.

Andererseits spüre ich seit Jahren, dass maßloser Nachrichtenkonsum mir selbst nicht gut tut. Ich bin mittlerweile überzeugt, dass ich nicht für die ständige Beschäftigung mit Ereignissen, die sich außerhalb meiner unmittelbaren Lebenswirklichkeit abspielen, gemacht bin. Meine Kapazität, neue Ereignisse, Personen, Meinungen und Gefühle in mein Weltbild einzuordnen und und zu verarbeiten gleichzeitig in meinem eigenen Leben – Ehe, Arbeit, Freunde, persönliche Entwicklung – zu funktionieren und noch besser zu florieren, ist begrenzt. Stetiger Informationsfluss reizt mich zwar, aber er überfordert mich auch.

Zudem führen Nachrichten mich in eine passive Beobachterrolle, die nicht selten in einem Gefühl der Ohnmacht resultiert. Die Thüringenkrise kann ich nicht verhindern, genauso wenig wie den Terroranschlag in Nigeria oder die Wiederwahl Trumps in den USA. Jaja ich weiß, es gibt Leserbriefe, Petitionen, Demos, Positionsbezug auf facebook etc. Aber seien wir ehrlich zu uns selbst: das Verhältnis von Nachrichtenkonsum und aktivem persönlichen Handeln ist doch zumeist seeeehr unausgeglichen.

Gleichzeitig und paradoxerweise kann der Newskonsum einer Sehnsucht nach Sicherheit entspringen: Wenn ich nur alles weiß, kann ich die Welt besser verstehen und alles einordnen. Wenn ich genügend News und alle Ratgeberartikel gelesen habe, kann ich mich besser schützen. Gerade in der Corona-Zeit merken viele Menschen, dass die westlichen Sicherheiten nicht immer so sicher sind und Reise- oder Lebenspläne schnell ge- oder zerstört werden. Das frenetische News-Checken und Hamsterkaufen vieler Menschen interpretiere ich als verzweifelte Versuche, ein Stück weit Ordnung und Sicherheit für sich wiederherzustellen. Mir als Christ hilft es dabei ungemein zu wissen, dass Gott trotz aller Unsicherheiten die Welt in seiner Hand hält und Jesus mit uns in das Leid, die Quarantäne und alle Ängste geht (siehe z.B. Matthäus 28,20).

Dazu kommt, dass wir Nachrichten oft nur fragmentarisch erhalten und auch so aufnehmen: Hier eine Schlagzeile, da ein Tweet und da ein Kommentar. Wir denken weniger in großen Zusammenhängen, sondern lassen uns überwältigen in einer Flut von Push-Notifications, Eilmeldungen und Meinungsmache, die alle zusammengenommen ein hohes Suchtpotential aufweisen – es gibt ja stets etwas Neues. Ich kenne Menschen, die müssen sich zwingen, Nachrichten zu schauen und informierter zu sein. Ich gehöre nicht dazu. Bin ich einmal bei einem bestimmten Thema im „News-Sog“, komme ich da schwer wieder raus.

Abgesehen davon spüre ich, dass Nachrichten bei mir zumindest häufig zu einer negativen, zuweilen sogar zynischen Weltsicht beitragen: Nachrichten leben von Skandalen, Tragödien, Kriminalität, Katastrophen, Verrissen. Positive Entwicklungen spielen da nur eine untergeordnete Rolle. Dieses Ungleichgewicht beeinflusst sicher auch die Psyche. Zur Illustration folgendes Gedankenexperiment: Man stelle sich vor, man lebe in einer Welt ohne Medien. Alles, was du erlebst, sind die Dinge, die du mit deinen Augen in deiner Stadt siehst. Die Spaziergänger am See, die Verkäufer an der Kasse, deine Freunde in der WG. Vermutlich würden wir die Welt und die Gesellschaft als weitaus positiver, freundlicher und weniger dramatisch wahrnehmen.

Nun will ich Zeit nicht zurückdrehen und bin mir der Ironie bewusst, dass ich all dies in einem Online-Blogeintrag schreibe. Ich weiß auch um die wichtige Funktionen der Medien: Aufklärung, Regierungskontrolle und dergleichen. Ohne die Medien wüssten wir fast nichts über die Machthaber in Berlin oder Düsseldorf oder die Lage in anderen Ländern. Mir geht es in diesem Beitrag um die Verhältnismäßigkeit des Nachrichtenkonsums. Bei mir persönlich ist das Aufwand-Ertragsverhältnis eher negativ.

Aus all diesen Gründen habe ich mich entschieden, in der Fastenzeit nur zweimal wöchentlich (mittwochs und samstags) jeweils für nur 15min Nachrichten zu lesen oder zu schauen. Dabei geht es mir nur um meinen privaten Konsum. Ich versperre mich nicht, wenn mir ein Freund oder meine Frau von Nachrichten berichtet und zuweilen rede ich auch mit, wo ich es kann.

Und dann kam Corona… Kaum ein Ereignis hat in meiner Lebenszeit so sehr die Nachrichten dominiert wie dieses Virus, vielleicht noch 9/11, aber da war ich noch recht jung und weniger nachrichtensüchtig. Ganz durchgezogen habe ich mein Fasten nicht, einige Male habe ich mich informiert über die Lage in Münster, in NRW oder der Welt.  Ich denke gerade dann, wenn uns Nachrichten unmittelbar betreffen – ob die Schule ausfällt oder welche Veranstaltungen abgesagt sind, sollten wir mal nachschauen.

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das Leben kann noch schön sein 🌞☺️

Aber ich versuche mich mittlerweile dennoch eisern daran, mein Nachrichtenfasten durchzuziehen. Ich merke, wie sehr mir das gerade in dieser Zeit hilft. Gestern habe ich Fernunterrichtsmaterialien für alle meine Kurse erstellt, war in der wunderschönen Frühlingssonne joggen und abends haben wir noch was gespielt. Es ging verhältnismäßig wenig um das C-Wort. 😉 Zwar läuft WhatsApp gerade heiß mit Corona-Updates, aber ich versuche dem nicht zu sehr nachzugehen. Ich kann in dieser Zeit meinen kleinen Beitrag zur Eindämmung tun, muss mir dafür aber nicht 24/7 die neuesten Infektionszahlen und Experten- und Laienmeinungen anhören. Dass ich mir die Hände waschen soll, habe ich mittlerweile auch schon verstanden. Es bedarf aktuell keiner stündlichen, vielleicht sogar noch nichtmal täglichen Updates.

Ich möchte es am Ende noch einmal direkt aussprechen: Ich ermutige jede/n Leser/in ausdrücklich, sich nur zielgerichtet und in festen Zeiträumen – z.B. 1x täglich um 20 Uhr – über Corona zu informieren oder sich auf eine Tages- oder Wochenzeitung zu beschränken. Nutzt die Zeit für viele schöne oder sinnvolle Aktivitäten in der unmittelbaren Lebenswelt – kreative Projekte, Kochen, Keller entrümpeln, Kommunikation mit Leuten aus der Ferne etc. Das Leben ist zu schön und zu kurz um es in einem stetigen Nachrichtenstrudel zu verbringen und womöglich zu verwirken.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, wird eure Herzen und Sinne in Christus Jesus bewahren. – Philipper 4,7

7 Kommentare zu „Nachrichten-Fasten in Zeiten von Corona

  1. Danke für diesen Artikel, der mir aus der und in die Seele spricht.
    Letzte Woche habe ich das Wort Nachrichtenhygiene gehört, das hat mir auch gut gefallen 🙂
    Liebe Grüße ins schöne Münsterleben!

    1. Danke dir liebe Karin!! „aus und in die Seele sprechen“, ein schöner Ausdruck, den werde ich mir merken. Ich muss mir die Dinge, die ich hier schreibe, auch immer wieder selbst sagen!🙏
      Oh ja, das ist in der Tat ein zutreffender Begriff. 🙂
      Liebe Grüße zurück in den hohen Norden. Vielleicht seid ihr da ja auch wegen der langsamen Internetverbindung weniger versucht, Nachrichten zu lesen 😛

  2. „In diesem Prozess wird sogar der Verzicht auf Schoki oder Junk-Food etwas leichter, weil man sie nicht mehr bei sozialen Treffen angeboten bekommt.“

    Dem würde ich dann doch eher widersprechen.
    In der Corona-Krise ist der Datenverkehr in Deutschland so hoch wie nie. Denn neben dem Homeoffice für einige, nutzen viele Zuhausebleiber/innen verstärkt ihren favorisierten Streamingdienst. Netflix, Amazon Prime und Co. werden in dieser „Corona-bitte-bleibt-alle-zu-Hause-Phase“ ziemliche hohe Zugriffszahlen verzeichnen – und da verzichten nur die hard-core Ökos auf Junk Food und absolut keiner auf Schoki!

    Vielen Dank, Sebastian, für Deine erfrischenden verschriftlichten Gedanken.
    Das motiviert einen doch direkt eher mal zu lesen statt zu streamen. 🙂

    1. Haha ja das stimmt, das habe ich nicht ganz bedacht. Ich persönlich kaufe mir fast nie etwas Süßes und lange nur zu, wenn es einem angeboten wird – das kommt aber doch recht häufig vor, egal ob Spieleabend, Hauskreis, Kaffeetrinken etc. 😃

Ich freue mich sehr über jegliche Reaktion - egal ob kritisch, ermutigend oder ergänzend :)