Willkommenskultur in der Krise

Auf einer kleinen Tafel im Hauseingang steht „Herzlich willkommen – Bassi & Luise“. Das Haus ist sauber, der Tisch ist gedeckt. Noch wichtiger: Die Begrüßung ist herzlich, die Umarmung kräftig, das Gesprächsinteresse echt. So erlebe ich zumeist das Ankommen zu Hause bei meinen Eltern. Besonders meine Mutter pflegt eine liebevolle Willkommenskultur, die mehr Heimatgefühl bei mir auslöst als ostfriesische Teetraditionen und andere äußere Dinge. Egal, wie lange und anstrengend die Zugfahrt mit Maske war, wie viel Berufsstress ich zuvor hatte oder welche Sorgen ich mir gerade über die Zukunft mache: Sobald ich mich zu Hause willkommen fühle, ist all dies für einen kurzen kostbaren Moment verschwunden.

Ich musste an dieses Willkommensgefühl denken, als ich neulich von Paulus‘ Ankunft in der Metropole Rom las (Apostelgeschichte 27-28). Seine Reise dorthin war traumatisch: Seenot, Schiffsunglück, Panik an Bord, drohende Exekution und Schlangenbiss. Alles etwas dramatischer als eine Fahrt mit Maske. Für Rom selbst war kein Sightseeing-Trip geplant, sondern ein aufreibender Gerichtsprozess vor dem Kaiser. Genau in dieser Lage wird berichtet, wie er in Rom empfangen wurde:

„Die Christen in Rom hatten schon von unserer Ankunft gehört und kamen uns bis Tres-Tabernae entgegen, einige sogar bis Forum Appii. Als Paulus sie sah, dankte er Gott und blickte mit neuem Mut in die Zukunft.“ (Apg 28,15)

Was für ein schönes Detail inmitten dieser aufwühlenden und anstrengenden Episode! Die Christen in Rom kamen ihm entgegen. Entgegenkommen – das klingt sonst nach nüchternem Kompromiss auf diplomatischer oder arbeitsrechtlicher Ebene – „die IG-Metall kam dem Arbeitgeber mit zwei Prozentpunkten entgegen“. Im eigentlichen Sinne des Wortes heißt entgegenkommen schlicht, dass ich nicht nur auf den Anderen warte, sondern aktiv zu ihm laufe.

Eine gute Willkommenskultur wird immer da gepflegt, wo Gastgebende aktiv werden und sich Gedanken machen, z.B. indem man…

  • die Bedürfnisse des Anderen antizipiert. Jesus rügt den lausigen Gastgeber Simon in Lukas 7 dafür, dass er ihm kein Wasser für die Füße gegeben hat. Auch das Bedürfnis nach Essen, Anteilnahme, Humor oder auch Schlaf kann erspürt und gestillt werden.
  • sich mental und im Gebet auf das Gespräch mit dem Anderen einstellt und auch Aspekte aus vorherigen Begegnungen bedenkt und eventuell aufgreift.
  • bei der Ankunft seine momentane Aktivität unterbricht dem Anderen tatsächlich entgegenkommt, sei es auf der Auffahrt oder im Treppenhaus.
  • Freude ausgedrückt, ob verbal oder (nach Corona) körperlich (Jesus ist in Lukas 7,45 enttäuscht von einem ausbleibenden Kuss. Soweit muss es aber bei uns in Deutschland nicht immer gehen 😉 ).

Gastfreundschaft muss nicht opulent und Insta-tauglich sein. Ich denke Gastfreundschaft beginnt schon mit dem Bewusstsein dafür, dass viele Menschen anstrengende und aufwühlende Zeiten durchmachen – seien es äußere oder gesundheitliche Nöte, verbale „Bisse“ der Mitmenschen oder Panikgefühle angesichts der Zukunft. Wenn wir ihnen entgegenkommen und ein kleines Refugium für einen kurzen Moment bieten können wir vielleicht „mit neuem Mut in die Zukunft blicken“. 🙂

2 Kommentare zu „Willkommenskultur in der Krise

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