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Vor der eigenen Haustür kehren

Nachdem in der Nacht zu Sonntag über Nacht nahezu unbekannte Schneemassen auf Münster fielen und die Stadt in ein weißes Wunderland verzauberten, hörte man schon früh morgens im Bett liegend Metall über Stein kratzen – die Nachbarn begannen, den Schnee vor ihrer Haustür zur Seite zur schieben und somit die Natur zu zähmen und ein Stück Zivilisation und Ordnung in das Chaos zu bringen. Ein Naturschauspiel ist schön, aber es darf natürlich die eigene Mobilität nicht einschränken.

Kurze Zeit später profitierte ich dann auch von dem Fleiß meiner vielen Mitbürger: Als ich mich mit dem Fahrrad in einem Akt heroischer Selbstüberschätzung für einen Moderationsdienst zur Gemeinde kämpfte, war ich froh über jeden Gehweg, der gekehrt war. Das Schieben des Rads wurde mir durch das Schippen der anderen erspart.

Unter diesen Eindrücken gewann der sprichwörtliche Lebensrat „Erstmal vor seiner eigenen Haustür kehren“ frische Bedeutung für mich. Oft wird er angeführt, um Kritik von jemanden abzuweisen, der selbst „Dreck am Stecken“ bzw. vor der Haustür hat. Wir nehmen ungerne Rat von einer Person an, dessen Integrität wir anzweifeln. Passend dazu sprach mein Pastor gestern im besagten Gottesdienst auch in einer Bergpredigtpredigt über die Gefahr des unangemessenen Richtens. Wie oft fordern wir Dinge von Mitmenschen ein, die wir selbst nicht so recht praktizieren? Wie schnell lege ich an andere härtere Maßstäbe als an mich selbst an? In der Predigt wurden prägnante Beispiele genannt: Wenn ich lange überlege, bin ich bedacht; tut dies jemand anders, ist er kompliziert und zögerlich. Wenn ich andere Menschen nicht mag, ist das nur Ausdruck meiner guten Menschenkenntnis; tun dies andere, haben sie Vorurteile. Beharrt jemand auf seiner Meinung, ist er starr- und dickköpfig; tue ich das, bin ich überzeugt und standhaft.

Doch das Prinzip des „Vor der eigenen Haustür kehren“ kann man noch weiter als zwischenmenschlichen Umgang denken: Ein  teils überzogener Kritik- und Richtgeist wird auch auf abstraktere Größen wie Gesellschaft, Regierende oder Institutionen angewendet. In der Schul- und Unizeit wurde mir ein kritischer Geist eingeschärft, der zwar wichtig und sinnvoll ist, unreflektiert und einseitig angewandt aber auch Extremformen annehmen kann: Dann ist alles und jeder tendenziell machtdurchtrieben, das „System“ unterdrückerisch und korrupt und die Medien manipulativ; nur ich, ich kleiner Schüler oder Student; habe nach meiner 45minütigen „Studie“ der Quellen alles durchblickt und kann ein scharfes Urteil fällen.

Vor dieser Hybris warnt der kontroverse kanadische Psychologe Jordan Peterson in dem Buchkapitel „Set your house in perfect order before your criticise the world“. Es ist so einfach, überall Missmanagement zu sehen und Dinge von anderen einzufordern, ohne aber selber sein Leben zu ordnen und Energie, Zeit und Kreativität in die Verbesserung von Organisationen, Städten, Gemeinden, Nachbarschaften oder Schulen zu stecken. Ebenso ist es leicht, abstrakt Toleranz, Solidarität oder Konsequenz einzufordern, aber ungleich schwerer, vor oder im eigenen Haus Verständnis, Hilfsbereitschaft und Verlässlichkeit zu leben.

Wenn jeder tatsächlich „vor seiner eigenen Haustür“ kehrt, können aus den verschiedenen kleinen Einheiten der Gemeinde, Schule, Stadt oder der ganzen Gesellschaft vielfältige Segnungen hervorgehen: gesündere Beziehungen, glücklichere Menschen, dynamischere Gemeinden, mehr praktische Mithilfe und geebnete Wege selbst bei Schneegestöber und anderen Herausforderungen, die auf uns herunterprasseln.

Was mir dabei hilft: Weil ich weiß, dass jemand den Weg zum Vater „freigeschaufelt“ hat, brauche ich selbst auch keine Angst oder Hemmung vor der durchaus schwierigen „Schaufelarbeit“ im eigenen Umfeld zu haben. Wenn mein Meister sich nicht zu schade ist, seinen Jüngern die Füße zu waschen, dann darf ich meinen Stolz und meine passive Beobachter- und Richterrolle ablegen und selbst Hand anlegen.

 Als er nun ihre Füße gewaschen hatte, nahm er seine Kleider und setzte sich wieder nieder und sprach zu ihnen: Wisst ihr, was ich euch getan habe? Ihr nennt mich Meister und Herr und sagt es mit Recht, denn ich bin’s auch.  Wenn nun ich, euer Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, so sollt auch ihr euch untereinander die Füße waschen. Denn ein Beispiel habe ich euch gegeben, damit ihr tut, wie ich euch getan habe. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Der Knecht ist nicht größer als sein Herr und der Gesandte nicht größer als der, der ihn gesandt hat. – Johannes 13,12-16

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