Ich hätte nie gedacht, dass es mal trendy sein wird, spazieren zu gehen. Für Erwachsene, ja, vielleicht auch für diese verliebten Pärchen Arm in Arm. Aber doch nicht wir jungen Leute! Als meine Eltern früher mit uns Kindern sonntags „spazieren“ wollten, graute es mir. Einfach nur rumlaufen in der kargen ostfriesischen Landschaft und dabei zu Gesprächen mit Leuten genötigt werden, die man sowieso den ganzen Tag um sich hat – zu wenig Stimuli für einen zockenden Teenager im 21. Jahrhundert! 

Zu jeder Jahreszeit ein Augenschmaus.

Jetzt, wo die Lockdownregeln nicht viel mehr zulassen, die öffentlichen Unterhaltungsangebote auf 0 runtergefahren sind und der Aufenthalt an der frischen Luft als gesund und relativ sicher gilt, ist Spazierengehen bei meinen Freunden und auch bei mir die neue Standardaktivität für soziale Treffen. Wer keine Lust mehr aufs Zoomen hat, der packt sich dick ein und geht nun spazieren. 

Meine Spazierroute mit Freunden ist wohnortbedingt fast immer eine Runde um den Münsteraner Aasee; oft eine ganze, bei Zeitnot auch mal eine halbe. Mittlerweile drehe ich so fast immer 2-4 Aaseerunden pro Woche – mal mit guten Freunden, mal per Telefon mit der Familie und natürlich auch mal mit meiner Frau – aber nicht Arm in Arm, das ist mir viel zu unergonomisch! 

Doch das Spazierengehen bildet natürlich nur die Rahmenhandlung für das eigentliche – die Begegnung im Gespräch mit meinem Gegenüber. 5,2 km hat man dafür Zeit. Wenn man so losschreitet, weiß ich oft gar nicht, was uns in dieser guten Stunde erwarten wird. Sicherlich, ein paar Lebensupdates, Fragen zum Videounterricht oder den Lockdownbefindlichkeiten. Aber wo wir uns festbohren, was den anderen bewegt, was wir hoffen und wo wir verzagen – all das ist offen.

Das macht es spannend, aber auch riskant: Was ist, wenn wir uns nach einer halben Stunde nichts mehr zu sagen haben? Die Wegstrecke liegt ja noch vor einem und allzu viele Ablenkungsmöglichkeiten gibt es beim Spazieren nicht. Im Ausgeliefertsein liegt jedoch auch der Reiz: sich einlassen auf ein längeres Gespräch, oft ohne Handy und anderen Klimbim, nur zu zweit im Schritttempo das Leben teilend.

Eine Zufallsbegegnung

Ganz alleine ist man natürlich nicht: Jogger, andere Spaziergänger und Hunde sind mit von der Partie – jung und alt, fröhlich und ernst, schnell und langsam. Bewusst wahrnehmen tut man sie in einem intensiven Gespräch nicht wirklich, aber in kurzen Pausen überhört man doch das eine oder andere Gespräch und bekommt für einige Millisekunden kurze Eindrücke in das Leben Einzelner und der Gesellschaft als Ganzes. Manchmal musste ich schon dabei schmunzeln, gelegentlich bilden andere Menschen sogar einen Gesprächsaufhänger. Doch nicht nur Fremde trifft man am Aasee, auch Freunde habe ich auf meinen Runden immer wieder zufällig getroffen. Ein überraschtes Lächeln, ein kurzer Plausch, „Na, was ist los?“, „Lass uns mal wieder…” und schon geht es weiter. So fühle ich mich auch in Coronazeiten weniger isoliert, eingebunden nicht nur in private Freundschaften, sondern auch in das öffentliche Leben. 

Am Ende, wenn man wieder auseinandergeht in seine kleinen abgeschirmten Wohnungszellen, bin ich trotz der Kälte wohlgewärmt und dankbar für die gemeinsamen 5,2 km. Noch viel später ruft der Aasee Erinnerungen wach: An dieser Kurve haben wir über … gesprochen, dort habe ich … gesehen – man kann fast den Gesprächsverlauf an der Aaseerunde nachvollziehen. Ein Spaziergang ist anders als ein bloßer Chat oder ein Telefonat zu Hause physisch verortet und so bleibt die Erinnerung auch leichter und länger haften.

Auch wenn mir mit zunehmender Lockdownzeit die Gruppendynamik eines lebhaften Abends mit mehreren Freunden fehlt, sind Spaziergänge zu zweit eine gute Übung für meinen immer noch überstimulierten Kopf und ein Segen für die Beziehungspflege.


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4 Kommentare

  1. Paul Mudder

    Na, Sebastian, wußte gar nicht, das das so nervig in deiner Kindheit war, wenn du mit uns geredet hast. Hast immer sehr zufrieden ausgeschaut. Überleg mal, das deine Kommentare auch ältere Menschen trifft, passen die nicht mehr in dein Weltbild.

    • Sebastian

      Hallo Paul,
      schön von dir zu hören! Es ist eher das Gegenteil: früher konnte ich als Teenager weniger mit Erwachsenen anfangen, mittlerweile rede ich sehr gerne mit ihnen. Ich glaube das ist ein normaler Prozess, dass man als Jugendliche andere Interessen hat und zB Spazierengehen uncool findet. Wenn ich dich gesehen habe, war das meistens ja auch gar nicht beim Spazieren, sondern einfach so beim Spielen. Hab mich immer sehr gefreut dich zu sehen und tue das auch heute noch 🙂 Wenn ich wieder in Emden bin komme ich gerne auf einen Tee vorbei! 😊

  2. Ich glaube, da hat jemand Deine Message nicht verstanden. Weiter so. Dein Blog ist inspirierend, witzig und Nachdenkens wert. Die hohe Kunst zu beherrschen, Gedanken, Eindrücke und Emotionen in Worte zu fassen – einfach nur genial.

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