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Meine Fahrradtasche zwischen Alltag und Abenteuer

Als ich vor kurzem eines grauen Samstags meinen schweren Einkauf in die leicht-spießbürgerliche türkise Fahrradtasche bugsierte und diese an meinem Rad befestigte, wurde ich plötzlich mit Erinnerungen an einen kleinen Abenteuerurlaub im letzten Sommer überwältigt: Im Juli 2020 fuhr ich mit einem Freund eine Woche lang mit dem Rad von der Seenplatte in Mecklenburg-Vorpommern (oder das „Kanada Deutschlands“, wie ich es leicht beschönigend nenne) bis hin nach Greifswald an der Ostsee. Damals war die selbe Radtasche mit „überlebenswichtigen Inhalten“ wie Schlafsack, einer viel zu dünnen Isomatte, Klamotten, Ravioli-Notrationen und anderen Camping-Utensilien gefüllt.

Im Zwiespalt zwischen Reisekomfort und Radgewicht mussten einige Annehmlichkeiten zu Hause bleiben. Belohnt wurden wir jedoch mit einer wunderschönen Landschaft, einer intensiven Gefährtengemeinschaft mit meinem Kumpel und interessanten Begegnungen mit anderen Radlern aus Ost und West in Waldimbissen oder am Lagerfeuer.

Da war zum Beispiel ein junges Pärchen aus Dresden, welches mit ihren zwei Kleinkindern im Schlepptau seit mehreren Monaten unterwegs war und beim knisternden Feuer an einem großen See bei Neubrandenburg davon berichtete, warum sie mal ausbrechen wollten, bei welchen Freunden und Zeltplätzen sie übernachteten und wie ihre Kids wacker mitstrampelten, aber manchmal auch nur mitgezogen wurden. Nachdem wir uns im Gespräch von den Reisestrapazen zu den großen Lebensfragen bewegten und über Freundschaft, Beruf und die Gesellschaft philosophierten, holten sie nach Mitternacht aus ihrer Radtasche einen billigen Wein und schenkten ihn in unsere Plastik-Campingbecher ein – es war einer der besten Weine, den ich je getrunken habe.

Die Feuerstelle an dem besagten See (Tollensesee, Neubrandenburg)

Viel zu selten in meinem Leben habe ich solche kleinen Abenteuer in der Natur und fremden Gegenden gewagt. Es tat und tut gut, aus der gewohnten Umgebung auszubrechen, unterwegs zu sein und offen zu sein für neue Freundschaftsmomente, unbekannte Menschen und einen anderen Lebensrhythmus.

Doch nun, an diesem Samstagmittag auf dem Supermarktparkplatz, sind Milch, Zwiebeln und andere Zivilisationsprodukte, die der Kühlung oder weiteren Verarbeitung bedürfen, in meiner Fahrradtasche. Seit Monaten war ich nicht mehr richtig unterwegs – Pandemie, Schulstress und schlechtes Wetter ließen wenig Zeit und Raum für Lagerfeuerromantik an ostdeutschen Campingplätzen.

Doch der Impuls, aus dem Alltag auszubrechen, ist immer noch da. Auch Freunde berichten mir, wie müde sie von der ganzen Situation sind und wie sehr sie sich nach etwas Abwechslung sehnen. Nach mehr Leichtigkeit, Begegnung und Tapetenwechsel. In diesem Sommer scheint dies dank der fallenden Infektionszahlen auch zunehmend möglich zu sein, ein wenig Ausbruch ist erlaubt.

Aber auch mit zurückgewonnenen Reisemöglichkeiten bleiben wir in einem gewissen Zwiespalt zwischen Alltagsgestaltung und Abenteuersehnsucht. Einige Persönlichkeitstypen brauchen dabei mehr die Routine, andere die Rastlosigkeit; Verbeamtung vs. Veränderung. Beide Dispositionen haben ihre Tücken: Routinen können Menschen eingefahren und schlapp machen. Auf der anderen Seite scheint mir ein fortwährendes Ausbrechen angesichts der Bedürfnisse nach einem Lebensunterhalt, der Freundschafts- und Familienpflege und dem Dienst an Menschen vor Ort nur schwer möglich.

Vielleicht liegt die Kunst darin, sich leiten und zeigen zu lassen, was in welchem Moment dran ist. Dabei kann man die inneren Impulse nach Stetigkeit oder Abwechslung durchaus wahrnehmen und innerlich bewegen, aber sich nicht ultimativ von ihnen bestimmen lassen. Dieses Pfingsten glaube und hoffe ich, dass wir in diesem schwierigen Ringen jemanden in uns haben, der uns genau kennt und uns wie ein Feuer mal hinaustreibt und mal zu sich in die wohlige Wärme führt.

Wenn aber jener kommt, der Geist der Wahrheit, so wird er euch in die ganze Wahrheit leiten; – Johannes 16,13

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