Vor kurzem stöhnten meine Schüler über die Vielzahl der Arbeitsblätter und wiesen auf die vielen armen Bäume hin, die meinetwegen gefällt werden mussten. Ich erwiderte, dass ich zumindest kein Auto fahre und von diesem CO2-Ersparnis könnte ich sicherlich noch viele Schülergenerationen mit Arbeitsblättern beglücken. Auf diesen Einwand reagierten meine Oberstufenkursteilnehmer, für die der Führerschein und das erste eigene Auto großes Lebensglück versprechen, sehr erstaunt: „Wie, Sie fahren kein Auto? Wie geht das denn?“ 

„Nun, mit dem Rad brauche ich nur etwa 12 Minuten zur Schule“, antwortete ich.

„Aber mit dem Auto bräuchten Sie nur 5!“

Für sie als Kinder einer autogeprägten Umwelt war die Sache damit klar. Ein Auto ist schneller und schneller ist besser, ergo ist Auto > Fahrrad. 

Ich musste nachher noch über diese kurze Interaktion nachdenken. Sie schien mir nahezu symptomatisch zu sein für zwei verschiedene Lebenswelten, in denen ich mich die letzten 4 Jahre bewegt habe.

Zum einen ist da Münster, die Stadt meines Studiums, meiner Freunde und auch die Stadt des Fahrrads. Hier fährt alt und jung wie selbstverständlich auf der Leeze entlang roter Fahrradstraßen, dem Promadenring und zahlreichen anderen Radwegen. Dafür gibt es viele praktische Gründe: Dank kurzer Wege, kompakten Stadtkerns, angenehmer und oft breiter Radbahnen und wegfallender Parkplatzsuche ist man mit dem Rad sehr oft schneller als mit dem Auto.

Doch es sind nicht nur die praktischen Gründe. Radfahren ist in Münster nicht nur eine Mobilitätsoption von vielen, sondern Ausdruck eines Lebensgefühls.

Fast jeder macht es: Studenten mit Hollandrädern und Anzugträger auf schneidigen City-Bikes. Omis steuern teure eBikes und selbst Eltern fahren ihre Kinder mit dem Lastenrad von A nach B. Sozialer Anreiz kommt auch von ganz oben: Unser Bürgermeister Lewe erzählte einmal in einer Radausstellung stolz, dass er 6 Fahrräder besitze. 

Wenn ich an der Aegidiistraßen-Ampel mit 18 anderen Radfahrern auf Grün warte und jeden einzelnen betrachten kann, ganz ohne Karosserie und getönte Scheibe, fühle ich mich als Teil einer größeren Masse, die offen durch die Welt geht bzw. fährt und sich selbst bewegt und nicht bewegen lässt. 

Und bricht die Herbstsonne durch die Bäume auf der Promenade, während man mit seinem Rad bei Vögelgezwitscher statt Autolärm entlang zahlreicher Jogger, Spaziergänger und anderer Radfahrer fährt, entsteht in mir ein Gefühl von Ruhe und Glück. Nicht selten sind mir während des Radfahrens gute Freunde und alte Bekannte begegnet. Oft halten wir an, führen einen kurzen Schnack und ziehen dann wieder unserer Wege.

Diese Form der Spontanbegegnungen und vieles weitere von dem, was ich oben beschrieben habe, sind in einer autozentrierten Lebenswelt nicht so leicht erfahrbar. In Minden und Umland, wo meine Schüler herkommen, ist es üblich, mit dem Auto von A nach B zu kommen. Klar, das Auto bietet mehr Platz, Komfort, Regenschutz, Wärme, gute Bässe und schwitzen muss man auch nicht. Zudem sind die Wege oftmals länger, weil die Stadt in die Breite wächst und viele aus kleinen Orten pendeln. An der Radampel steht man oft als einzelner und meint die mitleidigen Blicke der zahlreichen Autoführer hinter sich zu spüren. Lastenräder sind kaum zu sehen, wer steckt sein Kind auch schon in solch einen kleinen Kasten. Die Radwege führen oftmals entlang lauter Straßen, sodass sich Ruhe und Glück während des Fahrens nicht so recht einstellen mögen. Und weil Radfahren nicht Teil der Stadt- und Lebenskultur ist, gibt es entsprechend wenig Anreiz, diese zu entwickeln und selbst in die Pedale zu treten.

Ich bin kein Autohasser und habe Verständnis für viele Lebenssituationen. Es ist ziemlich wahrscheinlich, dass wir uns demnächst selbst ein Auto anschaffen, um manche Menschen und Orte besser zu erreichen. 

Dennoch möchte ich Werbung nicht allein fürs Radfahren machen, sondern für den Lebensstil, der dahinter steht. In einer Umgebung, in der die Menschen auf dem Rad und nicht in einer tonnenschweren Stahlkarosse unterwegs sind, begegnet man sich häufiger, nimmt Natur und Umwelt mehr wahr, schwitzt und strampelt man mehr – kurz: man ist weniger entfremdet von dem Menschsein, für das wir geschaffen sind. 

Daher ist es wohl kein Zufall, dass Jesus nicht von Ort zu Ort geritten oder in einer Kutsche gefahren ist, um hier und dort schnell ein paar Predigten zu erledigen, sondern ganz oft wie ein Wanderprediger mit seinen Jüngern per pedes unterwegs war. Somit war er auch zugänglich nicht nur für seine Nachfolger, sondern auch für alle möglichen Fremden, die ihn „along the way“ erblickt und angesprochen haben. Er wählte die langsamere und anstrengendere Option und drückte damit, so glaube ich, ganz bewusst einen anderen Lebensstil aus.

Dieser Lebensstil ist es mir wert, 12 statt nur 5 Minuten zur Arbeit zu brauchen. Und er ist nur eins von vielen Dingen, die ich an Münster vermissen werde. ❤️


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4 Kommentare

  1. Frühling

    Bleib beim Radfahren. Es ist zumal sehr gesund und man sieht, erlebt und nimmt viel mehr wahr als beim Autofahren oder laufen oder spazieren gehen.

  2. Fahrrad Fahren gefällt mir auch. Aber es ist zeit mein Auto Fahrschein zu machen:)

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