50 Jahre BAföG und mein Ringen um authentische Dankbarkeit

Gestern vor 50 Jahren wurde das Ausbildungsförderungsgesetz verkündet. Arbeiterkinder und sonstige junge Menschen aus einkommensschwachen Familien sollten es einfacher haben, zu studieren oder eine Ausbildung anzufangen. Das erfuhr ich im (grandiosen) Podcast „WDR-Zeitzeichen“. Als ehemaliger BAföG-Empfänger hat mich dieses Jubiläum daran erinnert, wie dankbar ich für diese staatliche Einrichtung sein sollte und auch bin. Mein ganzes Bachelorstudium – inkl. Studienwechsel nach einem Jahr Irrfahrt in die seltsame Welt der Betriebswirtschaftslehre und einem Auslandssemester – habe ich fast ausschließlich vom BAföG gelebt. Auch wenn ich in dieser Zeit keine großen Sprünge in die ferne Welt machen oder ständig Cappuccino-schlürfend am Prinzipalmarkt sitzen konnte, hat das Geld immer für Miete, Studium und Mensa-Flatrate gereicht. Ja, ein paar Anträge, Dokumente sammeln und Sachbearbeitergespräche waren nötig, aber dafür war ich voll versorgt.

Wenn man das System mit vielen nicht-westlichen Ländern vergleicht, die überhaupt keine Studienunterstützung leisten können, oder mit Unis aus der angelsächsischen Welt wie USA oder GB, die horrende Studiengebühren verlangen, kann ich nur dankbar sein, dass ich mein Studium relativ bequem und ohne einen Haufen Schulden absolvieren konnte.

Von der Kritik zum Argwohn

Aber mit der Dankbarkeit ist das ja so eine Sache. In intellektuellen Kreisen wirkt nichts unangebrachter und naiver, als dankbar und positiv auf sein Leben und die Welt zu schauen. In Schule, Studium und seriösen Medien wird zum kritischen Hinterfragen von Strukturen und Systemen, nicht zum Wertschätzen derselben erzogen. Wenn ich in gewissen Runden erzähle, wie dankbar ich für das BAföG, das Leben in Deutschland und eventuell sogar unsere überwiegend sachliche und lösungsorientierte (wenn auch z.T. visionslose) Regierung bin, dann liegen gefühlt schon Vorwürfe und Einwände wie Nationalismus, Verblendung oder blinde Systemtreue in der Luft. Wer dankbar ist, der wolle nichts verändern. Es gebe so viele Baustellen. Das BAföG reiche nicht mehr, die Studienplatzvergabe sei ungerecht, etc. pp.. Bissige & „mutige“ Kritik zieht einfach mehr.

Nun hat kritisches Denken seinen berechtigen Platz in den Institutionen, ja auch im Privaten; aber ich habe den Eindruck, dass eine gesunde kritische Grundhaltung sich relativ schnell und weitestgehend unbewusst in eine eher pessimistische, misstrauische und allseits-besorgte Weltsicht verwandeln kann, in der so etwas wie Dankbarkeit fürs BAföG (oder irgendeinem anderen Auswuchs eines „Systems“) schlicht deplatziert wirkt.

Dankbarkeitskitsch

Zugegeben, das andere Extrem, bei dem man für jeden Kaffee und Tick seines Schatzis #thankful ist und jeder Tag so #blessed sein soll, ist mir auch nicht ganz geheuer. Menschen, die so kommunizieren, wirken auf mich künstlich und oberflächlich; ohne Textur und Tiefgang. Auch so manche Andacht, die dazu anregt, „dass wir doch für so vieles so dankbar sein können“, erscheint mir in meinen schwachen und trüben Momenten hohl und fast schon unsensibel. Das Leben ist leider nicht immer wie ein kawohliges Glücksgefühl.

Ein Mittelweg?

Aber gibt es einen Mittelweg zwischen Allzeitargwohn und Dankbarkeitskitsch? Ich denke schon. Wie dieser aussieht, muss jeder wohl für sich austarieren. Hilfreich erscheint mir, den Blick zu weiten und sich immer wieder bewusst zu machen, wie weit wir und man selbst schon gekommen ist, wie viel Freudenpotential in dieser großen Welt steckt, wie sehr (ich spreche als Christ) Gott führt, bewahrt und beschenkt; ohne dabei den Sinn für Nöte und Ängste in seiner Umgebung zu verlieren. Rituale können dabei helfen. Luise und ich machen jede Nacht vor dem Einschlafen (trotz Kitschgefahr) eine Dankbarkeitsrunde. Das hilft mir tatsächlich, meine Gedanken am Ende des Tages noch einmal weg von allen Sorgen und Unvollkommenheiten zu lenken.

Dankbar für Systeme

Vor kurzem bekam ich einen Brief, in dem ich zur Rückzahlung eines Teils des BAföGs aufgefordert wurde – gnädigerweise auf 10.000 Euro gedeckelt. Auch wenn die Summe etwas weh tut, zahle ich sie gerne. Denn ich bin dankbar für die Unterstützung und möchte dieses System der Unterstützung weiter aufrechterhalten. Ja, ich bin aktiver Teil dieses und vieler anderer Systeme – Gemeinde, Schule, Deutschland, Europa u.v.m. – und will dankbar das Gute in diesen Systemen sehen und das weniger Gute – da wo sich Möglichkeiten auftun und Kapazitäten vorhanden sind – verbessern.

3 Kommentare zu „50 Jahre BAföG und mein Ringen um authentische Dankbarkeit

Ich freue mich sehr über jegliche Reaktion - egal ob kritisch, ermutigend oder ergänzend :)