👩⚕️👨🔧 Wie die Jobs der Eltern Kinder beeinflussen
Ein oft übersehener Einflussfaktor auf das Leben von Kindern und Jugendlichen sind die Berufe der Eltern. Es macht einen Unterschied, ob ich ein Lehrerkind bin und schulische Themen und pädagogische Haltungen den Alltag bestimmen oder ob mein Handwerkervater mit mir zusammen schon früh eigene Dinge zimmert. Die Schichtarbeit von Ärztinnen und Krankenpflegern oder auch die Home-Office-Möglichkeiten eines Jobs beeinflussen den familiären Tagesrhythmus und Verfügbarkeit elterlicher Präsenz. Akademiker-Eltern pushen ihre Kinder meistens Richtung Abi und Uni, während bei Arbeiterkindern Sicherheit und Pragmatismus in puncto Berufswahl gefördert wird. Eltern prägen mit ihren Jobs den Alltag und Horizont ihrer Kinder. Arbeitszeiten, Werte, Fähigkeiten und Gehälter spielen dabei eine entscheidende Rolle.
🏦🏡 Von der sicheren Bank in das Abenteuer Selbstständigkeit – die berufliche Biographie meines Vaters
Mein eigener Vater war die ersten 13 Jahre meines Lebens bei der Commerzbank. Erst vor Ort in Emden im Büro, später mehr und mehr im Außendienst – er gab lebhafte Workshops, machte Vermögensberatung in vielen Städten in Nord- und Westdeutschlands und erzählte von einigen interessanten Kundenbesuchen, darunter Promis wie TV-Moderator Michael Steinbrecher oder Willy Lemke von Werder Bremen. Sein Job verlagerte sich mehr und mehr in die Commerzbank-Zentrale in „Mainhatten“ in Frankfurt. Das hatte zur Folge, dass er Montag bis Freitag außer Haus war und wir als Familie ihn meistens nur am Wochenende zu sehen bekamen. Dadurch hatte ich mit 11-12 Jahren natürlicherweise mehr Draht zu meiner Mutter, mit der ich schulische Dinge besprach, Gesellschaftsspiele spielte und den Alltag zusammen mit 3 Schwestern erlebte. Für sie war diese Zeit der Fernehe nicht einfach und so entschloss sich mein Vater in einem günstigen Moment, die Commerzbank zu verlassen, die Fahrerei aufzugeben und sich selbstständig zu machen. Mit der Abfindung baute er sich eine neue Existenz als individueller Vermögensberater auf, ließ eine Software dafür entwickeln und war deutlich mehr zu Hause, unter anderem weil er dort auch sein Büro einrichtete. Doch das Leben als Ein-Mann-Unternehmer ist nicht einfach. Er musste alte Privilegien wie nette Kollegen, Absicherung und schicke Dienstwagen aufgeben und im Alleingang viel Vertrauen aufbauen, Klinken putzen, Werbung machen und mit Absagen umgehen.
Nach der Bankenkrise 2008 war das Finanzgeschäft noch schwerer geworden, so sattelte er um und wurde Immobilienmakler. Das Vermitteln zwischen verschiedenen Parteien, das Einschätzen von Häusern, den persönlichen Umgang mit unsicheren Interessenten und emotionalen Verkäufern mit teils überzogenen Preisvorstellungen machte ihm viel Spaß. Nicht selten erzählte er bei der nachmittäglichen Teezeit von teils skurillen Besichtigungstouristen, heruntergekommenen Baracken und spannenden Lebensbiographien seiner Kunden. Doch als Selbstständiger gibt es kein festes Monatsgehalt – jeder Euro muss aktiv erwirtschaftet werden. Steht das Telefon still und die Aufträge kommen nicht rein, entsteht finanzielle Unsicherheit und viel zu tun außer noch mehr Werbung machen gab es auch nicht. Diese Unsicherheit haben auch wir Kinder mitbekommen, obwohl meine Eltern uns stets versucht haben vor unnötigen Sorgen abzuschirmen und uns auch in kargen Jahren ein ausreichend gutes und liebevolles Leben ermöglicht haben.
Doch mein Vater gab nie auf, probierte sich auch im Bereich Marketing immer wieder neu aus – er experimentierte mit Zeitungswerbung, radio-ähnliche Werbung im örtlichen Combi-Markt und natürlich dem Internet. Obwohl er anfangs wenig Ahnung von Technik hatte, beauftragte er erst mich, später professionelle Firmen, seine Webseiten zu gestalten und im Google-Ranking mit diversen „Landing-Pages“ und allerelei SEO-Tricks nach oben zu bringen. Wer heute „Immobilien Emden“ oder „Immobilien Ostfriesland“ googelt, findet seine Webseite oft auf den obersten Seiten, wobei dies bei wechselnden Algorithmen immer wieder neu erkämpft werden muss.

Seinen Ruf als „ehrlichen Kaufmann“, wie er sich selbst sieht, hat er sich hart erarbeitet und spiegelt sich in vielen guten Rezensionen wider. Er lebt viel von Weiterempfehlungen und dem Vertrauen seiner Kunden. Wenn ich meinen Freunden erzähle, dass mein Papa Makler ist, runzeln manche die Stirn und assoziieren damit Begriffe wie „Immobilien-Hai“, „zwielichtig“ oder „unnötig“. Aber weil ich mein Papa auch privat kenne, weiß ich, was für einen aufrichtigen, kompetenten und wichtigen Job er leistet. Das merkte ich erst letztens, als er mit uns zu einer Hausbesichtigung in Minden kam und messerscharf Materialien, Wert und Potential des Hauses einschätzte und uns schließlich eine Absage empfahl.
Heute hat mein Vater Geburtstag, seinen ersten als Rentner. Doch da er seine Arbeit liebt, macht er freiwillig weiter, führt lebhafte Telefonate, die ins ganze Haus hallen, liest sich in neue Rechtsvorschriften ein, macht mit seiner neuen Drohne imposante Hausbilder und experimentiert weiter.
An seinem Geburtstag sind mein Vater und meine Mutter zu Besuch bei einem von Papas besten Freunden, Carsten aus Pinneberg. Carsten war bis vor kurzem ebenfalls selbstständig, leitete einen Elektronikhandel durch viele Jahrzehnte. Ein munterer, fröhlicher und redseliger Mann, den Luise und ich dank der Nähe zu ihren Eltern kürzlich besuchten. Papa und Carsten verstehen sich auch deswegen gut, weil sie als Selbstständige beide eine gewisse Offenheit und Dynamik mitbringen.

🆓👨🏫 Unternehmer vs. Lehrer
Als verbeamteter Lehrer bin ich quasi das berufliche Gegenteil meines selbstständigen Vaters. Natürlich kann man als Lehrer auch innovieren, sich neu ausprobieren, aber eben doch in einem ziemlich engen System, dafür mit ganz viel Sicherheit und Absicherung. Lehrer sind in der Regel nicht von Existenznot angetrieben und können auch über einen längeren Zeitraum der Versuchung erliegen, die Füße hochzulegen und nur minimalistisch zu arbeiten (was aber nur wenige tatsächlich tun). Macht ein Unternehmer das zu lange, geht er pleite. Mein Vater findet Lehrer als Kunden manchmal etwas kompliziert, sie kommen seinen Erfahrungen nach oft mit vielen Vorstellungen, Besserwisserei, Weltfremdheit und wenig Einsicht und Selbstkritik. Trotzdem sind zwei seiner vier Kinder Lehrer geworden und wir haben uns alle lieb.

🎨 Mehr Gestaltung wagen
Wenn ich mehr über das Wesen meines Vaters und dessen Tätigkeit sinniere, denke ich, dass wir beides brauchen in diesem Land und auch in unseren persönlichen Umfeld: Gestalter und Verwalter. Stetige und gewissenhafte Arbeiter und mutige Unternehmer. Viele von Papas Freunden haben ihm gesagt: „Also ich könnt das nicht, was du machst“. Und ich glaube das ist auch okay. Es gibt verschiedene Persönlichkeitstypen und Sicherheitsbedürfnisse. In meinem Umfeld gibt es jedoch recht wenige, die den Mut aufbringen, was eigenes zu starten. Dabei muss man dafür nicht einmal seinen Job an den Nagel hängen, sondern kann auch nebenberuflich Hobby-Projekte starten, einen etsy-Shop aufmachen, eine neue Idee in die Gemeindearbeit einbringen und selber mit anpacken oder die Routinen der Ehe und Freundschaften durch neue kleine Abenteuer aufleben zu lassen. Bei mir ist es z.B. dieser Blog oder Lehrer–Apps, einige meiner Lehrerkollegen hingegen kaufen und vermieten Wohnungen und sind so unternehmerisch tätig. Als ich in meinem neuen Fach Wirtschaft-Politik vor kurzem das Thema „Unternehmertum“ unterichtete, arbeitete ich u.a. mit einem lokalen Beispiel von 2 Mindener Abiturienten, die ein Putz-Startup neben der Schule gegründet haben (hier Artikel/Arbeitsblatt).
Tätigkeiten, die nur von Verwaltung des Status quo leben, die über Jahre nur eintönig und vorhersehbar sind und wenig gestalterisch angelegt sind, können seelenzermürbend und lebensauslaugend sein. Manche Jobs bieten zwar viel Abwechslung, aber nur wenig Luft zum Atmen und wenig Raum für Familie und Freunde. Mein Papa hat mir vorgelebt, Konsequenzen zu ziehen und mutig neue, eigene Wege zu gehen. Er lernte in all den Versuchen, Wagnissen, Niederlagen und Siegen und in vielen neuen Beziehungen viel Geduld, Demut und Gottvertrauen. Umso dankbarer und stolzer bin ich auf meinen Papa – möge sein Lebenswerk mich und vielleicht dich inspirieren, trotz ‚German Angst‘ Neues zu wagen und Sicherheit nicht immer über alles zu stellen.
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