Hingehaltene Hoffnung macht das Herz krank

Letztens im Urlaub saß ich mit Luise an einem ruhigen schottischen Gewässer und wir lasen diesen kleinen Weisheitsspruch, der uns beide ansprach und in ein langes Gespräch verwickelte und den ich seitdem nicht aus dem Kopf bekomme:

„Hingehaltene Hoffnung macht das Herz krank; ein erfüllter Wunsch aber ist ein Baum des Lebens.“ (Sprüche 13,12)

Der Vers drückt eine Realität aus, die oft schmerzhaft ist und die ich in mir aber auch im Leben guter Freunde nur allzu gut kenne. Wie viele Menschen hoffen auf etwas – körperliche Genesung, einen Partner, ein Kind, Freunde, einen Job, Versöhnung, bessere Lebensumstände, Frieden – und werden bei der Erfüllung dieser Wünsche „hingehalten“. Warten tut weh, gerade dann, wenn andere schon haben, worauf man hofft oder wenn keine Verbesserung in Sicht ist.

Ich musste erneut an diesen Vers denken, als ich vor kurzem wieder auf Hochzeiten war. Hochzeiten sind emotional-vielschichtige Angelegenheiten. Zum Einen sind sie erwartungsschwanger und sollen Hochgefühle bei allen Beteiligten erzeugen. Jeder soll bei diesem Fest der Liebe, Glückseligkeit und Völlerei fröhlich sein, für Ärger, Trauer, Neid oder Gleichgültigkeit ist auf der Feier und auf den späteren Hochglanzfotos und fetzigen Videos wenig Raum. 

Und doch stellen sich die scheinbar die „richtigen“ Emotionen nicht immer per Knopfdruck ein – weder beim Brautpaar noch bei den Gästen. Das Brautpaar möchte vielleicht fröhlich und gelassen sein und hegt nahezu ekstatische Hoffnungen an den großen Tag, hat aber noch die regnerische Wettervorhersage, die Aufräumlogistik oder den schwerkranken Opa, der nicht dabei sein kann, im Kopf. Noch schlimmer: Vielleicht hat jemand sogar Restzweifel. Eine Szene im Film „Jerry Maguire“ zeigt, wie der Bräutigam während seiner Hochzeit doch nicht so heiter aussieht und unsicher wirkt:

Später führt eine Videoaufnahme der Hochzeit dazu, dass die Frau Zweifel an der Liebe ihres Mannes bekommt und sich schließlich trennt. Möglicherweise hoffte er so lange auf das Eheglück und merkte erst am Tag der Hochzeit, dass sie doch nicht die Erfüllung seiner Wünsche ist. 

Andererseits kann eine Hochzeit für Braut oder Bräutigam tatsächlich einen Zeitpunkt markieren, indem langersehnte Hoffnung erfüllt wird. Ich habe schon einige Freunde begleitet, die auf dem Partnergebiet schon viel Schwieriges erlebt oder jahrelange Durststrecken durchgemacht haben und für die die Eheschließung sich wie ein erstes Ankommen anfühlt. Solche Hochzeiten rühren mich besonders, auch wenn es schon meine 40te ist. Hochgefühle wachsen bei mir besonders gut, wenn sie im tiefen Boden einer langjährigen Freundschaft verwurzelt sind. 

Aus diesem Grund freute ich mich neulich besonders, als eine gute Freundin nicht nur heiratete, sondern auch all ihre guten Freunde an einem Ort hatte. Ich wusste, wie sehr sie und auch ich unter den Umzug einer betriebsamen Studentenstadt in eine ruhige Kleinstadt litt und wie sehr sie ihr enges Freundesnetz vermisste. Ich konnte mir nur vorstellen, wie sehr sich freute, alle beisammen zu haben und nun auch ein Lebenskapitel zu beginnen, in dem es dank Partner und neuen Sozialstrukturen etwas leichter ist, Kontakte zu knüpfen und zu pflegen. 

Damit sind wir schon bei der „Gästeseite“ einer Hochzeit und ihren Hoffnungen und Emotionen, die oft komplexer als nur reine Freude sind. Ein Beispiel: Auf einer Hochzeit sollte ich Fürbitte halten und einer der vorgeschlagenen Themen war, für die „Einsamen“ unter der Gesellschaft zu beten. Nun, ein heikles Thema. Singles fühlen sich von solchen Gebeten schnell verprellt, wird doch mit einer solchen Bitte eine Bedürftigkeit suggeriert, die sie nicht automatisch so empfinden. Zudem stören sich manche Christen auch theologisch an „Partnersuchgebeten“, da man ja sein Glück nicht nur aus dem Partner ziehen sollte und Ehe nicht zu einer Art „Götze“ hochstilisieren sollte. Das sind alles berechtigte Einwände, die jedoch nicht negieren können, dass sich am Ende des Tages eine Mehrheit der Menschen nach einer vertrauten, liebevollen und treuen Partnerschaftsbeziehung sehnt und „es nicht gut ist, dass der Mensch allein ist“, wie sogar Gott schon im Paradies konstatierte. Eine Hochzeit schmiert einem Suchenden dick aufs Brot, was man gerade nicht hat. Es ist für einen Hungrigen wie ein fettes Hochzeitsbuffet, das einem nicht zugänglich ist. „Nur gucken, nicht anfassen“. 

Generell scheint es mir nicht einfach, mit Hoffnungen richtig umzugehen. Säkulare und christliche Ratgeber empfehlen eine Art „Erwartungsmanagement“. Nicht zu viel erwarten, sein Glück nicht von einer Sache abhängig machen, Freude an anderen Dingen suchen. Eine Single-Freundin sagte mir vor kurzem, dass sie auf Hochzeiten versucht, sich selbst zurückzustellen und gedanklich und praktisch ganz beim und für das Paar zu sein. Eine starke und löbliche Haltung. Jerry Maguire aus dem obengenannten Film möchte seine Hoffnung wiederbeleben und erinnert sich daran, dass ihm seine Frau, für die er anfangs nicht die erwarteten Hochgefühle hatte, doch irgendwie vermisst und braucht und mit ihr seine Freuden und sein ganzes Leben teilen möchte (Link zur Szene). Paulus ermutigt seine leidenden Leser oft dadurch, dass die Zukunft „herrlich“ sein wird. 

Wahrscheinlich braucht es für die „hingehaltene“ Hoffnung eine Mischung aus all diesen Dingen: Erwartungen gegebenenfalls nachjustieren, Dienen statt zu viel Selbstbezogenheit, Kampf um Erfüllung und Vertrauen auf Zukunftsverheißung. Und vielleicht noch etwas anderes:

Im „Hohelied der Liebe“, welches gerne auf Hochzeiten vorgetragen wird, heißt es am Ende:
Die Liebe erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie erduldet alles.“ (1. Kor 13,7) Ich glaube eine gesunde Hoffnung lässt sich nicht von Liebe trennen. Denn die Liebe für Gott und Mitmenschen rückt allzu egoistische oder unrealistische Hoffnungen in den Hintergrund und befeuert stattdessen eine Hoffnung, die einiges erdulden kann und auch bei Enttäuschung und Hinhaltung nicht in Bitterkeit und Zynismus rutscht. Auch ich habe einige unerfüllte Wünsche und Hoffnungen und fühle mich in manchen Bereichen „hingehalten“. Ich hoffe, dass Gott einige davon erfüllt und in der Zwischenzeit und auch bei Nicht-Erfüllung ein Bewusstsein für seine Liebe und die Not anderer zu sehen schenkt. Hoffnungen zu haben ist für mich ein Ausdruck dafür, am Leben festzuhalten und nicht zu resignieren. Das wünsche ich mir, fürs anstehende kommende Schuljahr und darüber hinaus.

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