Letztens war ich im Rahmen eines sogenannten Zertifikatskurses für mein Drittfach Wirtschaft-Politik beim Düsseldorfer Landtag und habe am Abend vorher in unserer Landeshauptstadt meinen Freund Fola besucht und bei ihm übernachtet. Er ist Nigerianer und wir haben uns mal auf einer christlichen Konferenz kennen- und – verzeiht den Pathos – liebengelernt. Mein Auslandssemester in Nigeria hat sicherlich etwas beim „Connecten“ geholfen, aber da war auch ein gemeinsames Interesse, Leben zu teilen, Spaß zu haben und seine Gedanken zu Gott und die Welt zu bewegen. Auf unserer Hochzeit hat er als DJ mit seiner Mischung aus Afrobeats, Gospel und Pop für ordentlich Stimmung gesorgt. Musik war auch das erste, was mir beim Betreten seiner Wohnung in Düsseldorf auffiel. Sie läuft bei ihm die ganze Zeit im Hintergrund. Es erinnerte mich an damalige Hausbesuche in Nigeria, wo es ein Zeichen der Höflichkeit ist, seinen Fernseher nicht aus- sondern einzuschalten, damit jeder mal was zu gucken hatte, wenn er oder sie Bock drauf hatte. Wir sprachen gleich über diesen Unterschied und er erklärte mir seine Sicht auf die verschiedenen Gesprächs- und Gastgeberkulturen, während wir zusammen mit seiner Verlobten sein leckeres Fusion-Gericht aus nigerianisch-deutscher Küche – gestampfte Kartoffeln mit einer fleisch- und gemüsereichen Sauce – unkompliziert auf seinem Sofa aßen.
Es ist schwer zu beschreiben, was für ein anderer „Vibe“ zu fühlen war, als ich Folas Wohnung betrat – entspannt und locker-lustig. Besuche bei deutschen Freunden fühlen sich oft anders an: alle sind etwas bemühter, fast schon aufgeregter. Die nahezu obligatorischen Wie-geht’s-dir? und Was-macht-das-Leben?-Runden an fein gedeckten Tischen, eifrig nickend und Cappu oder Kamillentee schlürfend und umgeben vom Schrein der Familienfotos, bilden eine Art kulturelles Skript, also einen fürs Milieu typischen Ablauf von Gesprächen und Verhaltensweisen, die durchaus lohnenswert und schön, aber auch ein Stückweit vorhersehbar sind.
„German birthday parties are so boring – people just sit and talk talk talk. Where’s the dancing?“ So empfindet eine andere nigerianische Freundin von mir dieses „kulturelle Skript“. Sie heißt Ola – Namen wie Fola und Ola sind eigentlich für westliche Menschen angepasste Abkürzungen von längeren Namen wie „Afolarin“ – und ich lernte sie im Studium kennen. Ihre treffende Analyse konnte ich schmunzelnd gut nachvollziehen, auch wenn ich deutsche Geburtstage trotzdem ganz gerne mag und meine eigenen Feiern in der Regel in dieser „sit-in“-Form durchgeführt habe.
Es geht beim Umgang mit eigenen und fremden Kulturen auch gar nicht darum, seine eigenen Gepflogenheiten über Bord zu werfen, in der Hoffnung, das Neue gäbe einem das Leben in Fülle. Aber ich habe noch einmal für mich gelernt, wie wichtig eine internationale Freundschaft dafür sein kann, verschiedene „vibes“ – Arten, Abläufe und Selbstverständlichkeiten der Lebensführung – erstmal wahrzunehmen und schauen, was davon in einem Resonanz auslöst.
Eine solche Resonanz habe ich erst gestern auf einer internationalen Missionskonferenz im benachbarten Bad Oeynhausen gespürt, wo ich übersetzt habe. Dort saß ich beim Abendessen an einem Tisch mit lauter Brasilianern. Als ich mich setzte, wechselten sie gleich von Portugiesisch ins Englische und empfingen mich mit einem lauten herzlichen „Sebaaaastian!“, als sie mein Namensschild lasen. Auch wenn ich den Smalltalk mit ihnen auf Englisch genoss, mochte ich es fast noch mehr, ihnen auf Portugiesisch zuzuhören, obwohl ich davon nichts verstanden habe. Portugiesisch ist ohnehin eine fast schon musikalische Sprache und wenn sie in einer Gruppe von Freunden gebraucht wird, gepaart mit schnellen Wortwechseln und vielen Lachern, dann ist das ein Wohlklang, der mich an einige brasilianische Mitarbeiterfreunde an einem Internat im Senegal erinnerte, die mir damals schon ein Fenster in eine andere, wärmere und spielerische Welt waren. Dieser Gedanke lässt mich mit Dankbarkeit, aber auch „saudade“ – portugiesisch für Sehnsucht – zurück.
Mein lokaler Freundeskreis in Münster war und ist hier in OWL trotzdem überwiegend monokulturell-deutsch geprägt, was viel mit dem Studien-, Nachbar- und Gemeindeumfeld zu tun hat. Und doch bin ich dankbar für jeden internationalen Freund oder Kontakt, den ich bisher kennenlernen durfte, auch wenn er oder sie jetzt teilweise weit weg wohnt.
Ich glaube es würde der Gesellschaft gut tun, wenn jeder mindestens einen guten internationalen Freund hat. Der Wert der Diversität wird heutzutage rauf- und runtergepredigt. Er wird überall eingefordert, in Stockfotos auf Webseiten präsentiert und als Zielvision für eine schöne neue Welt herausgestellt. Auch ich glaube an die Kraft von Vielfalt und habe auch schon hier auf dem Blog darüber geschrieben, wie wertvoll der Umgang mit dem anderen Geschlecht und anderen Kulturen oder Meinungen sein kann. Doch ich glaube, dass abstrakte Werte und Vorstellungen kaum einen Wert haben, wenn sie nicht persönlich gelebt werden. Im Rassismus-Diskurs wird gerne etwas spöttisch behauptet, dass du immer noch ein Rassist sein kannst, auch wenn du als Weißer einen schwarzen Freund hast und das dies für nichts entschuldigt. Das ist zwar richtig, denn Freundschaften verhindern nicht automatisch negative Haltungen. Und dennoch verkennt so ein Satz das unglaubliche Potential von intensiven zwischenmenschlichen Beziehungen. Wer einmal eine andere Normalität als die eigene gesehen, gespürt und reflektiert hat, wird mit größerer Vorsicht mit und über andere Bevölkerungsgruppen sprechen. Vielleicht erleichtert eine Gesellschaft, die in Beziehung zueinander steht, auch die Arbeit der Politik, die ich dann am Folgetag vom Besuch bei Fola im Landtag beobachten durfte. Politische Arbeit ist mühselig und kompliziert – es lässt sich eben nicht alles „von oben“ regeln. Wir hier unten können selber anfangen und als Gemeinde und als Individuen vorleben, was es heißt, Freundschaften über kulturelle Grenzen hinweg zu leben und dabei unser Repertoire an Verhalts- und Gesprächsmöglichkeiten über das bereits Vertraute hinaus zu erweitern.
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I enjoyed reading this Bassi. I have been highly enriched from our friendship and also learnt a lot. Thanks for sharing.
Thanks a lot, you faithful friend and commentator 🙂 See you soon!